Der Ukraine Krieg und wie man damit umgehen könnte

Ich habe eine hohe Affinität zu den osteuropäischen Staaten, daher ist es mir ein Anliegen, etwas zu den aktuellen Ereignissen rund um die Auseinandersetzung zwischen der Ukraine und Russland, sowie zum Umgang in Europa zu sagen.

Als im Selbstverständnis eigentlich pazifistisch denkender Mensch, tue ich mich schwer mit den Eskalationen und auch mit den Waffenlieferungen. Allerdings sehe ich ein, dass im gegenwärtigen Stand das Einstellen der Lieferungen ohne Weiteres eher zu mehr Leid aus zu weniger führen würde. Nichts desto Trotz möchte ich meine Stimme erheben und ein paar Argumente liefern, die ich bisher noch nicht wirklich in dieser Form in der aktuellen Debatte gehört habe.

Ich bin dafür, dass Menschen, die der Friedensbewegung nahe stehen, einen neuen Anlauf machen und auf die Straße gehen. Diesmal sollte aber der Adressat nicht vorwiegend unsere eigene Regierung sein, sondern sich direkt an die Regierung in Russland richten. Auch die Forderung nach dem Stopp von Waffenlieferungen sollte explizit nicht gefordert werden! Statt dessen soll Druck auf die Regierung in Moskau ausgeübt werden. Es soll ein klares Signal an die Duma gehen, dass wir Europäer*innen sowohl und zugleich den Frieden und die Freiheit verteidigen. Die Forderung nach dem Stopp von Waffenlieferungen würde nur den Frieden, aber nicht die Freiheit zum Ziel haben. Dies ist in meinen Augen unzureichend.

Wir Europäer*innen haben historisch lernen müssen, dass, wenn man einen Despoten gewähren lässt, dieser maßlos und nicht sanfter wird. Kontrafaktisch gedacht: wenn man im Zweiten Weltkrieg dem NS-Regime früher Einhalt geboten hätte, wäre die darauf gefolgte Ausbreitung in der Form nicht möglich gewesen. Man hat Vereinbarungen getroffen, um den Frieden zu wahren, und erhielt nur noch mehr Krieg. Das ist das, was ich an der Waffen-Lieferungs-Debatte als Pro-Argument für die Lieferung von Waffen gelten lasse.

Außerdem: Die Waffenlieferungen einzustellen ohne dafür etwas zurückzuerhalten kommt einer Kapitulation gleich und würde die Freiheit der Ukrainer*innen beenden. Es wäre zwar Frieden, aber keine Freiheit vorhanden. Vielmehr sollte die Option, die Waffenlieferungen einzuschränken und am Ende einzustellen Teil der Verhandlungsbasis sein. Erst wenn Zugeständnisse und vertrauensbildende Maßnahmen von Moskau kommen, kann die Spirale der Eskalation von den westlichen Verbündeten ins Auge gefasst werden. Würde man erst die Waffenlieferungen einstellen und dann verhandeln, ist ein gewichtiges Instrument vergeben und würde den berechtigten Standpunkt der Ukraine konterkarieren, in Freiheit, Souveränität und Selbstbestimmung zu leben.

Dennoch muss auch die deutsche Regierung und die Europäische Politik in den kritischen Blick genommen werden. Denn erstens wird nicht transparent gemacht, ob und wenn ja, wie versucht wird in einen Dialog mit Russland zu treten. Die Einseitigkeit der Berichterstattung mit Fokus auf Erfolge und Misserfolge ist zu wenig. Nötig ist auch eine Berichterstattung über Versuche der Diplomatie. Auch wenn dies ausweglos erscheint, muss es versucht werden. Dazu muss aber die europäische Zivilgesellschaft zum Einen den Druck erhöhen und zugleich solchen Verhandlungen den Rücken stärken. Klar muss allerdings sein, dass einem Frieden nur unter bestimmten Voraussetzungen zugestimmt werden kann. Ich gebe einige Beispiele:

1. Die Waffenlieferungen werden erst reduziert, wenn die Kampfhandlungen seitens Russland eingestellt werden. Lediglich für einen begrenzten Zeitraum ist Selbstverteidigung erlaubt. Proaktive oder präventive Angriffe sind nicht zu tolerieren. Dieser Pfeil im Köcher wird erst abgelegt, wenn vertrauensbildende Maßnahmen ergriffen werden, die dies ermöglichen bzw. wenn entsprechende Zugeständnisse gemacht wurden.

2. Die Souveränität des Staates Ukraine in Form von vor 2014 muss anerkannt werden (also inklusive der Krim). Im Gegenzug können Teile der Reparationszahlungen durch Russland gestundet werden, so dass sich die Wirtschaft von Russland erholen kann und nicht daran scheitert. Auch hier sollte aus der Weimarer Zeit gelernt werden. Denn mit den Reparationszahlungen vom Ersten Weltkrieg wurde der Boden bereitet, der das NS-Regime stark werden ließ.

3. Voraussetzung ist allerdings, die Abkehr von Russlands von der Kriegswirtschaft zu einer Zivilwirtschaft. Es ist Verhandlungssache, wie weit die Rüstung in Russland zur Selbstverteidigung wieder aufgebaut werden darf. Peu a peu sollten dann die Wirtschaftssanktionen zurückgenommen werden, damit die Rückkehr, bzw. Etablierung einer Zivilwirtschaft möglich wird.

4. Die Ukraine darf aufrüsten, da das Vertrauen darin, nicht angegriffen zu werden, erschüttert wurde. Auch das sollte seine Grenzen haben, allerdings sollte dem Bedürfnis eine Wiederholung eines Krieges nachhaltig Einhalt geboten werden.

5. Der Propaganda-Apparat muss auf beiden Seiten auf versöhnliche Töne umgestellt werden. Die Einmischung durch Hacker und andere aus Russland muss merkbar zurückgefahren werden. Es muss ein klares Bekenntnis erfolgen, dass die Ukraine Souverän ist. Das bedeutet auch, dass, wenn sie in die Nato eintreten möchte, dies auch ermöglicht wird. Mit dem Eintritt in die Nato wird das Rüstungsverbot für Russland schrittweise reduziert (Voraussetzung ist, dass die USA in dem Bündnis bleiben), da die Gefahr eines Angriffs auf ein Nato-Land deutlich geringer ist (wegen der Bündnisfall-Klausel)

6. Es müssen Reformen in sowohl Russland, als auch der Ukraine erfolgen (Rechtsstaatlichkeit, wehrhafte Demokratie, demokratische Strukturen etc.) und Programme gegen Nationalismus und anderer Formen der Vorurteilsnahme getroffen werden. Als Vorbild kann dazu die Deutsch-Französische Freundschaft dienen. Ein Kulturaustausch zwischen den europäischen Staaten und Russland muss in langer Frist eingerichtet werden.

7. Der Repressionsapparat in Russland muss zurückgefahren werden. Ein Demonstrationsrecht ohne Sanktionierung, Internierung etc. muss etabliert werden.

Ich würde mich unter den folgenden Voraussetzungen an einer Demo diesbezüglich beteiligen (auch, was die Orga angeht):

1. Keine Neo-Nazis, völkisches Denken, AfDuiede Allüren etc. werden geduldet. Es ist eine Friedens- und Freiheitsbewegung! Frieden und Freiheit sind nur zusammen möglich und das muss deutlich gemacht werden. Eine Kapitulation kommt nicht in Frage.

2. Es muss immer eine Kombination aus Friedens-, Freiheits- und Antifaschistische Demonstration sein. Es wird Putins völkisches Denken und Nationalismus zum Thema gemacht. Es wird deutlich gemacht, dass die Europäer*innen stellvertretend für die Zivilgesellschaft in Russland auf die Straße geht, die dies nicht ohne Leib und Leben zu riskieren, machen kann. Wir setzen ein deutliches Zeichen gegen die Regierung in Moskau. Wir dulden die repressive, völkisch-nationalistisch agierende Regierung in Russland nicht, wissen aber, dass die Zivilgesellschaft dies nicht (unbedingt) unterstützt. Wir gehen davon aus, dass sie daran gehindert werden oder von der Propaganda beeinflusst und verblendet sind. Wir berufen uns auf das Völker- und das Menschenrecht. Kein Angriff auf und Einflussnahme in souveräne Staaten fordern wir. Wir fordern dazu auf, den unberechtigten Krieg, der gegen die Menschenrechte verstößt, zu beenden.

3. Wir fordern die Regierungen in Europa auf, in Verhandlungen zu gehen und diese Transparent zu machen. Nur in einem geringen Maße sind Verhandlungen in Hinterzimmern von uns geduldet (Sondierungsgespräche, Gespräche über das Setting etc.). Russlands Regierung muss unter Verhandlungsdruck gesetzt werden. Es muss ersichtlich werden, dass Russland nicht verhandeln möchte, wenn Russland es nicht tut. Daher: Die eigentlichen Verhandlungen haben öffentlich zu geschehen, damit sich die Weltzivilgesellschaft ein Bild machen kann. Wir fordern die europäischen Staaten auf, unsere Botschaft an Moskau weiterzugeben. Dass wir zusammenstehen gegen den Krieg, den Eingriff in die Souveränität der Ukraine und die Beschränkung der Freiheit, sowohl in der Ukraine als auch in Russland.

4. Wir fordern keine sofortige Einstellung der Waffenlieferungen an die Ukraine, sondern wir fordern öffentlich sichtbare Verhandlungsbemühungen, die zum Ziel haben, unsere bereits skizzierten Ziele zu erreichen. Die Reduktion oder Einstellungen der Waffenlieferungen werden an klare Zugeständnisse aus Russland geknüpft.

5. Ansonsten ist unser Adressat Russland, die Duma, Putin und letzten Endes auch die Zivilgesellschaft in Russland. Wir setzen Zeichen dafür, dass wir nicht gewillt sind diesen Krieg zu dulden. Wir stärken den Rücken der Zivilgesellschaft in Russland, indem wir zeigen: Wir sind da, wenn ihr eure Stimme erhebt. Wir sehen euch und wir wünschen uns Frieden und Freiheit für alle.